
Carolina, Multiple Skerose, 10/2019
Carolina ist Krankenschwester in der Neurologie, und selbst an Multipler Sklerose erkrankt. Gestern schreibt sie nachts um 03:00 Uhr in der deutschen Facebookgruppe zum Coimbraprotokoll einen langen Beitrag, in dem sie ihren Weg reflektiert. Dankenswerterweise hat sie der Veröffentlichung zugestimmt.
Langer Beitrag, aber jede Zeile lesenswert!
„Ich find’s ja so irre (ja es ist wirklich irre) und meine ganzen Zusammenhänge so unbegreiflich, das ich das irgendwie echt teilen muss/ möchte: Dass meine Krankheit 2018 diagnostiziert wurde, und ich mir eben nochmal das Interview von Dr. Lemke über das Coimbraprotokoll ansah, dieser Arzt, den ich damals 2012 im Nachtdienst in Heidelberg kennenlernte. Er sagte: „Arbeiten Sie etwa nur Nachts? Nehmen Sie Vitamine, gehen Sie ins Solarium?“ ? Thema „Erste Wahrnehmung“ – das vergisst man nicht. Und diese Fragen damals werden/wurden mir erst jetzt nach meinem langen Weg so richtig klar, diese Zufälle sind aber auch so unglaublich.
Ich wohne heute in Bayern, arbeitete 5 Jahre in der Neurologie. Die MS war mein täglich Brot, natürlich ohne, dass ich es damals selbst hatte… Mir war jedes Medikament ein Begriff, jedes Symptom der Patienten, klar ich spürte sie selbst nie, aber ich erlebte es Tag für Tag intensiv mit (bin auch ne einfühlsame Schwester und DAS sag ich mit Stolz ? nachdem was ich so erleben durfte – und ich rede nie schlecht über meine eigene Berufsgruppe – naja anderes Thema…).
Jede Visite, oft dachte ich mir „manche Ärzte sind so hart“… Ja, auch das durfte ich dann plötzlich selbst erleben, und diese „Rolle der Patientin“ war für mich das schlimmste!
2018 die „Diagnose“ (ich nenne es jetzt einfach mal Diagnose, längeres Thema, anfangs war ich angeblich eine Patientin nach Schlaganfall und wurde auch so therapiert, das MRT ließ 4 Tage auf sich warten). Dann kam über den Facebook Messenger, so mitten zwischen den Schüben, der Tipp einer ehemaligen Patientin aus Heidelberg: Sie sagte „Coimbra Protokoll!“.
Mein Hirn dachte .. ja ja ..
„Solarium, Vitamin D, und morgen hüpfe ich wohl wieder um den Kreis.“
Andererseits dachte ich mir… „ja, was sonst“, meine Psyche war so ambivalent, und vor lauter Schüben konnte ich nicht klar denken?. Aber Vitamin D hing mir doch in meinen paar aktiven Hirnzellen immer nach ?
Ich hatte 3 Schübe hintereinander, schwere Schübe, wurde zweimal davon direkt per Notarzt auf Verdacht nach Schlaganfall auf die Stroke Unit verlegt, es kam so heftig, von einer Minute auf die Andere, dass ich es selbst sofort als Schlaganfall wahrgenommen hab – der jedoch keiner war. Ein aktiver Herd am Stammhirn, konnte links nichts mehr sehen, Parästhesien komplett links ausgeprägt, Polyneuropathien, kognitiv einfach nur patschig im Hirn. Hörsturz mit wochenlangem Tinnitus, Gangstörungen, Schwindel, Fazialesparese links, meine Psyche – mit der fang ich jetzt erst gar nicht an?…
3 Monate, alle 4 Wochen Stosstherapien Cortison, erst 5.000 mg … vier Wochen später nochmal 5.000 mg und daraufhin nochmals 10.000. Ich war die reine Explosion (hätte am liebsten dir Ärzte gefressen ?) Plasmapharese stand an, die Therapie mit Natalizumab stand schon in den Startlöchern, Blut wurde schon nach Dänemark geschickt zur Untersuchung auf PML. Böse Sprüche: „Beim nächsten mal landen sie im Rollstuhl… hochaktiv… hochaktiv…“ Jedoch empfahl mir jeder Neurologe oder jede MS Ambulanz andere Therapiemöglichkeiten, von der Eskalationstherapie bis hin zum „popeligen“ Copaxone. Über Wirkung und Nebenwirkungen möchte ich mich nicht äußern, ich würde es niemals nehmen, mehr will ich dazu nicht sagen.
Diese Gedanken, ich habe die Rollen getauscht, von der Krankenschwester zur Patientin, die Hölle, das schlimmste was man mir nur antun kann. Diese Gedanken machten meine Symptome natürlich nicht besser. Meine Schübe waren 3 Monate unaufhaltbar, mir wurden auf Grund meines Vitamin D Mangels im Januar sogar Mini Dosen von 1.000 ie VIT D3 tgl angesetzt, was ich heute noch ganz interessant finde…(besser als nix ?)
Januar 2019, ich war bei meinem alten Arbeitgeber auf der Reha, noch so kraftlos, aber der Gedanke an die „Phase D“ gab mir innerliche Motivation…
Dann saß ich in einer dieser Vorlesungen über das Thema Vitamin D und MS, epidemiologische Zusammenhänge…
Ich kam immer mehr ins Grübeln: Was wäre, wenn mein Vitamin D Spiegel im Normbereich wäre? Bin ich achtsam mit mir? Wie arbeite ich heute? Tatsächlich arbeite ich jetzt in einem Bereich, in dem ich wenig Stress habe. War es eine Art Burnout oder Art Zusammenbruch auf Grund all dieser Jahre, die ich nur Vollgas Überstunden geschruppt habe? Mein Körper hat mir öfters mal Signale gesendet: Oft habe ich schlecht gesehen, wurde oft nicht wach… Fragen Fragen…
Dann während der Reha kam direkt der nächste Schub und ich wurde 400 Kilometer zurück verlegt, bekam bereits auf der Reha 6 gr Cortison. Am Tag 10 mit 10 gr Cortison war ich dann wie tot: Meine Hoffnungen waren irgendwie weg, weil ich ja nicht einmal mehr alleine zum Hausarzt konnte, oder mich kaum bewegen konnte, und immer sozusagen eine „Begleitperson“ hatte, die mir helfen musste, bei der Körperpflege, oder um irgendwelche Dinge zu regeln, die man so gerne im beruflichen Sinn dem Sozialdienst überlässt. Man ist mit 32 Jahren von heute auf morgen einfach mal so „behindert‘ geworden, bekommt eine Krankheit, vor der man sich immer fürchtete (gut, man fürchtet sich ja irgendwie vor jeder Krankheit). Aber 5 Jahre Neurologie waren für mich eine sehr intensive Zeit damals, die auch psychisch nicht immer ganz einfach war.
Irgendwie kam ich aus diesem ganzen Chaos raus, weil ich dann so ganz „einfach“ achtsam zu mir war, der Druck verließ mich, da es anstatt besser nur bergab ging. Der Gedanke „ich muss doch arbeiten, muss fit werden“. Nein, plötzlich der Umschwung: Ich lehnte strikt die erneute bzw. weiterführende Reha ab, ich wollte Zuhause sein, bei meiner Familie, meinen Tieren. Die Kraft wollte ich selbst von mir, nicht von einer Cortison Therapie, die ich schon längst hätte „abblasen“ sollen. Aber wenn man hilflos ist, lässt man einfach so einiges über sich ergehen, und das kennt sicherlich Jeder hier.
Irgendwie kam dann alles Schritt für Schritt (Wort wörtlich) nacheinander in mein Leben: Der Tipp zum Coimbra Protokoll, mein erster Termin bei meinem Protokollarzt, der zum Glück schnell ging, meine Einstellungen änderten sich, meine Bedürfnisse, meine Gedanken. Und man informiert sich des Nachts, mit großen Augen vor dem Handy sitzend, über das Coimbra Protokoll, das man begonnen hat. Und bekommt dann diesen AHA-Effekt: Sieht plötzlich Dr. Lemke auf einem der Bilder der Protokollärzte, dann dieses Video beim MS-Kongress – ist es nicht verrückt? Es gibt ja so sooooo wenige Ärzte (Ironie off), und nein: Ich gehe immer noch in kein Solarium, aber ich mache das Coimbra Protokoll ?
Und mir geht es so so gut damit! Ich bin sehr achtsam geworden, trauer nicht meinem schwungvollen Leben hinterher, sondern schätze mein neues Leben. Aber Akzeptanz war einfach das schwierigste, es dauerte lange. Und mein Leben jetzt, es ist anders, aber wundervoll. Ich habe jeden Tag die Energie, die ich brauche, manchmal schlechter, manchmal besser. Aber im großen und ganzen ist es für mich ein Wunder: Alles, meine Erfahrungen in der Neurologie, diese Zufälle… Mein IST- Zustand heute, mein Leben, das wieder gelebt werden kann, meine zurückgewonnene Selbstständigkeit. Diese Sicherheit, die ich zurück gewinne, und meinem Körper neu vertraue, das zu tun, was er „kann“.
Heute rannte ich – ich rannte tatsächlich! – die Treppenstufen hoch zu meinem Hausarzt in die Praxis, um meine letzte Krankmeldung abzuholen, da ich am 1.11. meine berufliche Wiedereingliederung beginnen werde ? mit so einem großartigen Gefühl ?
Ist es auch Schicksal, dass ich heute in der Psychiatrie arbeite, und körperlich nicht arbeiten muss? Dass ich nun weiß, wie ich lernen kann, mit mir selbst umzugehen? Was Selbstliebe bedeutet? Wie ich in einem Interview hörte, geht es in erster Linie darum, dass wir Stress vermeiden, anders wird niemals irgendetwas irgendwo in unserem Körper, oder von mir aus in den Zellen, oder im Kopf ankommen.
Ich möchte hier auch nicht Werbung für irgendeinen Protokollarzt betreiben, oder generell Werbung machen, oder Menschen überzeugen, die Therapie zu beginnen. Ganz egal, welche Therapie es ist, von Copaxone bis Natalizumab oder Ernährung: Es geht nicht darum, WAS wir tun, sondern WIE wir es tun. Und was wir innerlich zulassen. Es wirkt bei jedem anders, das ist aber bei Allem so, ich war zu Beginn einfach euphorisch – und bin es Tag für Tag im Coimbraprotokoll.
Ich möchte mich in diesem Sinne bei Jedem bedanken, die hier etwas zum Bewirken gebracht hat, und Alles auf die Beine gestellt hat: Danke Christina Kiening , dass Sie das Coimbraprotokoll nach Deutschland gebracht haben, habe mit hoher Begeisterung Ihr Interview eben verfolgt, und bin für jedes gesagte Wort dankbar.
Ich bin ehrlich gesagt auch keine „Geschichte- Schreiberin“, nie gewesen, aber ab jetzt anscheinend schon. Und es freut mich, dass es solch eine Therapie gibt, Therapie ohne „ich zerstör noch mehr, als eh schon kaputt ist“ ?
Obwohl ich seit 13 Jahren eine „geimpfte“ Krankenschwester bin, die ihrer Schulmedizin nichts nachsagen lässt, zumindest was manche Formen der Anwendung betrifft. Jedoch in Sachen MS Therapie hab ich noch nie ein „Wunder“ oder gar eine Studie gelesen, die mir sagte „Gib her“ ? – aber da sag ich Euch auch nichts Neues…
Wir haben mittlerweile 5 Uhr, ich bin wieder die Alte: Nachts wach, und nicht müde zu bekommen, kann lange Strecken laufen, mich auf den Boden setzen, so wie normale Menschen es tun, und dann einfach aufstehen… Ich war ja immer so neidisch, und irgendwie ist alles wieder drin: Auto fahren, ich fühle, ich höre und ich sehe – und ich genieße diese Augenblicke, sie sind mir die Wertvollsten… Hören und Sehen… Es ist wundervoll… Und wenn man dabei noch mit dem Hund eine große Abendrunde läuft, mit dem E-Bike wie ne Wilde ums Dorf ne Runde dreht, was will man im Leben mehr? Außer sich, Liebe und ein wenig Unbeschwertheit?…
Den Kopf auch Mal ohne Sorgen haben. Und das habe ich definitiv seit dem Coimbraprotokoll. Auch wenn meine Symptome zu Beginn der Therapie machten, was sie wollten – aber das durften sie auch- sprach ich mir immer Mut zu. Und aus jeder Verschlechterung wurde eine umso größere Verbesserung!
Meine Polyneuropathie lässt nach oder ist so gut wie weg, nur abends will sie immer da sein, kommt uneingeladen ? aber sie verbessert sich ständig, manchmal sind’s Wochen oder Tage, aber es wird weniger und weniger. Und sonst bin ich einfach froh, so wie es ist, auch mit ein paar kleinen Baustellen, die nehme ich gerne an.
Fatique gibt’s jedoch gar nicht mehr …
5:17 Uhr …
Gute Nacht zusammen ?“